Low-Code-Tools stehen für Plattformen zur Anwendungsentwicklung, bei der nur wenig oder gar kein klassischer Programmiercode geschrieben werden muss. Stattdessen werden Funktionen meist per grafischer Oberfläche („Drag-and-Drop“) zusammengestellt. Dies ermöglicht es auch Nicht-Programmierern – sogenannten Citizen Developern – Anwendungen und Automatisierungen zu erstellen. Solche Low-Code-Plattformen gewinnen rasant an Bedeutung: Laut Gartner werden bis 2025 etwa 70 % aller neuen Anwendungen über Low-/No-Code entwickelt. Gängige Low-Code-Tools sind beispielsweise Microsoft Power Platform (Power Apps, Power Automate), Make.com oder umfangreichere Entwicklungsplattformen.
Warum Low-Code gerade in der Logistik relevant ist
Viele mittelständische Logistikunternehmen stehen vor ähnlichen Herausforderungen: Ihre Prozesse sind fragmentiert, diverse IT-Systeme und manuelle Teillösungen greifen oft nicht nahtlos ineinander. Manuelle Schnittstellen – etwa Excel-Exporte, E-Mail-Bestellungen oder Papierformulare – führen zu Medienbrüchen und Fehleranfälligkeit. Gleichzeitig fehlen interne IT-Ressourcen, um all diese Prozesse zu digitalisieren. Der Fachkräftemangel im IT-Bereich verschärft die Lage: 2022 blieben in Deutschland 137.000 IT-Stellen unbesetzt, was zu Überlastung und Entwicklungsstau in vielen IT-Abteilungen führte. In der Logistik kommen branchenspezifische Komplexitäten hinzu: vielschichtige Lieferketten mit einer Vielzahl an Akteuren, Standorten und Transportmodi – deren Koordination über verschiedene Schnittstellen den Warenfluss ausbremsen kann. Effizienzsteigerungen in Transport, Lager und Distribution sind daher für Mittelständler entscheidend, um Kosten zu senken und Lieferzeiten zu verkürzen. Low-Code bietet hier einen attraktiven Ansatz, um schnell und flexibel digitale Lösungen einzuführen, ohne auf umfangreiche Entwicklerteams angewiesen zu sein. Dass dieser Ansatz funktioniert, zeigen Umfragen: 63 % der Unternehmen nutzen Low-Code bereits gezielt, um Probleme in Transport, Logistik und Lieferketten zu lösen.
Chancen durch Low-Code-Ansätze in der Logistik
Low-Code-Plattformen können helfen, die genannten Herausforderungen zu meistern. Insbesondere eröffnen sie mittelständischen Firmen in der Logistik folgende Chancen:
-
Schnellere Entwicklung und Anpassung: Neue Anwendungen oder Prozessautomatisierungen lassen sich wesentlich schneller umsetzen als mit klassischer Softwareentwicklung. Unternehmen berichten von einer 10- bis 20-fach schnelleren Bereitstellung von Lösungen im Vergleich zu herkömmlichem Coding. Änderungen – etwa bei Prozessabläufen oder Formularen – können in Tagen statt Monaten realisiert werden. Dadurch können Mittelständler agiler auf Marktanforderungen reagieren und Prozesse kontinuierlich optimieren.
-
Automatisierung repetitiver Abläufe: Low-Code ermöglicht die Automatisierung manueller, wiederkehrender Aufgaben, vom Erfassen von Wareneingängen bis zur Versandbenachrichtigung. Mitarbeiter werden von Routinearbeiten entlastet und können sich wertschöpfenderen Aufgaben widmen. Das senkt Fehlerquoten (weil manuelle Eingabefehler entfallen) und steigert die Produktivität der Teams. In Bereichen wie Lagerverwaltung oder Transportabwicklung schlummert hier enormes Potenzial – z. B. können mobile Apps Daten direkt vor Ort erfassen und in Echtzeit weiterverarbeiten, anstatt mit Klemmbrett und nachträglicher Eingabe zu arbeiten.
-
Kostensenkung: Durch schnelleres Entwickeln und Automatisieren lassen sich IT- und Prozesskosten spürbar reduzieren. Einer Forrester-Studie zufolge können Low-Code-Plattformen die Entwicklungszeit um bis zu das Zehnfache verkürzen, was auch den Bedarf an zusätzlichen Entwicklern senkt. Weniger manuelle Arbeit bedeutet zudem weniger Arbeitsaufwand pro Auftrag – und das spart Personalkosten. Unterm Strich ermöglichen Low-Code-Lösungen somit oft, mehr mit den vorhandenen Ressourcen zu erreichen.
-
Weniger Abhängigkeit von der IT: Low-Code-Tools schlagen eine Brücke zwischen Fachabteilung und IT. Durch die intuitive Bedienung können geschulte Mitarbeiter aus der Fachabteilung selber Lösungen erstellen, ohne für jede Anpassung die interne IT bemühen zu müssen. Dies entlastet die IT-Abteilung und verkürzt die Warteschlangen für neue Anforderungen. Gleichzeitig steigen Akzeptanz und Innovationstempo, weil die Anwender ihre Prozesse eigenständig digital verbessern können. Die IT behält dabei eine Governance-Rolle (z. B. Freigaben, Security), muss aber nicht jede App selbst entwickeln.
Praxisbeispiele: Low-Code erfolgreich im Einsatz
Konkrete Anwendungsfälle zeigen, wie Low-Code bereits heute mittelständischen Unternehmen – auch in der Logistik – Nutzen bringt. Im Folgenden einige Beispiele und erzielte Effekte:
-
Finn (Auto-Abo-Anbieter): Das Münchener Start-up Finn baut sämtliche Kernprozesse seines Auto-Abo-Geschäfts auf der Low-Code-Plattform Make.com ab. Vom Bestell- und Flottenmanagement neuer Fahrzeuge über Auslieferung bis zur Fahrzeugrücknahme laufen alle Abläufe über automatisierte Make.com-Workflows, Dieser Full-Scale-Einsatz von Low-Code überzeugte sogar Investoren – Finn erhielt über 900 Mio. US-Dollar Finanzierung, um das Wachstum voranzutreiben. Das Beispiel zeigt, dass Low-Code auch umfangreiche, skalierbare Prozesse zuverlässig abbilden kann.
-
Dachser (Logistik): Der Logistikdienstleister Dachser hat ein unternehmensweites No-Code-Programm etabliert. Mit der Plattform smapOne konnten inzwischen rund 1.250 Mitarbeiter als Citizen Developer aktiviert werden, um analoge Prozesse durch Apps zu ersetzen. Das Resultat: Über 7,1 Millionen Seiten Papier wurden bereits eingespart – das entspricht ca. 396.000 Liter Wasser oder 147.000 kWh Strom, die zur Papierherstellung benötigt worden wären. Dachser nutzt Low-Code nicht nur zur Effizienzsteigerung, sondern fördert damit auch das digitale Mindset der Belegschaft. Ein zentrales Governance-Team stellt dabei sicher, dass alle selbst erstellten Apps qualitätsgeprüft und datenschutzkonform sind.
-
Power Platform im Einsatz: Viele Mittelständler setzen auf Microsofts Power Platform (Power Apps und Power Automate), um individuelle Lösungen zu entwickeln – oft ergänzend zum bestehenden ERP. Eine unabhängige Studie von Forrester zeigte, dass sich Investitionen in Power Apps meist sehr schnell auszahlen: Typischerweise waren erste Projekte innerhalb von 6 Monaten amortisiert, mit einem Return on Investment von 206 % über drei Jahre. In einem Fall entwickelte ein Unternehmen eine eigene Lager- und Reparaturmanagement-App mit Power Apps und Power Automate, welche manuelle Prozesse ablöste – die Einsparung lag bei rund 1 Million US-Dollar pro Jahr, davon etwa ein Drittel durch eingesparte Arbeitszeit. Solche Ergebnisse verdeutlichen das enorme Potenzial von Low-Code, selbst in Bereichen, die zuvor als schwer digitalisierbar galten.
ROI und Effizienzpotenziale von Low-Code
Low-Code-Initiativen können zu messbaren Effizienzgewinnen und hoher Rendite führen. Studien und Praxisberichte beziffern die Vorteile etwa wie folgt:
-
Schnelle Amortisation: Eine Analyse von Forrester ergab einen ROI von 206 % innerhalb von drei Jahren für den Einsatz von Microsoft Power Apps, bei einer Payback-Zeit von unter 6 Monaten. Mit anderen Worten: Low-Code-Projekte tragen sehr zügig finanzielle Früchte.
-
Beschleunigte Entwicklung: Durch visuelle Modellierung und wiederverwendbare Komponenten verkürzt sich die Entwicklungsdauer um rund 50 % gegenüber traditioneller Programmierung. Updates oder Prozessänderungen lassen sich entsprechend schneller und kostengünstiger umsetzen.
-
Eingesparte Arbeitszeit: Low-Code-Automatisierung kann tausende Stunden manueller Arbeit einsparen. Ein mittelständischer Finanzdienstleister berichtet etwa von über 10.000 Stunden pro Jahr, die durch den Einsatz von Make.com-Workflows in der Vertragsverwaltung frei wurden – Kapazität, die nun für wertschöpfendere Aufgaben genutzt werden kann.
Diese Beispiele quantifizieren, was viele Mittelständler intuitiv erwarten: Effizienz und Flexibilität steigen, während Kosten und Aufwand sinken. Wichtig ist, solche Erfolge messbar zu verfolgen – etwa indem man vor und nach der Low-Code-Einführung Kennzahlen wie Durchlaufzeiten, Fehlerquoten oder Personaleinsatz vergleicht. So lassen sich die Return-on-Investment (ROI)-Argumente gegenüber der Geschäftsführung belegen.
Tipps für den Einstieg in Low-Code
Wie können mittelständische Unternehmen nun konkret loslegen? Einige praxisbewährte Empfehlungen für den Start:
-
Klein anfangen mit Pilotprojekten: Identifizieren Sie einen geeigneten Prozess, der derzeit noch manuell oder suboptimal abläuft (z. B. Auftragsbearbeitung, Bestandsbuchung, Datentransfer zwischen zwei Systemen). Starten Sie ein Pilotprojekt bzw. bauen Sie einen Minimum Viable Product (MVP) mit einer Low-Code-Plattform für diesen Anwendungsfall. So sammeln Sie schnell Erfahrungen und können den Nutzen im Kleinen nachweisen, bevor Sie weitere Bereiche angehen.
-
Fachbereiche einbinden: Low-Code gelingt am besten, wenn die Fachabteilungen von Anfang an involviert sind. Benennen Sie in Ihren Teams „Citizen Developer“ oder Key-User, die motiviert sind, Prozesse zu digitalisieren. Diese Mitarbeiter sollten Zeit und Schulungen bekommen, um sich in der gewählten Plattform einzuarbeiten. Ihr Domänenwissen kombiniert mit Low-Code führt oft zu sehr praxisnahen Lösungen – und die IT-Abteilung wird entlastet, weil die Fachbereiche vieles selbst umsetzen können.
-
IT-Governance sicherstellen: Trotz aller Benutzerfreundlichkeit braucht es Leitplanken. Richten Sie gemeinsam mit Ihrer IT klare Governance-Regeln ein – etwa zur Datenintegration, Sicherheit und Qualitätskontrolle der erstellten Apps. Größere Unternehmen wie Dachser haben z. B. ein zentrales Low-Code-Audit-Team ins Leben gerufen, das die Citizen Developer schult, Anwendungen prüft und redundante Lösungen vermeidet. Für KMU reicht vielleicht ein regelmäßiger Austausch zwischen Fachbereichen und IT, um Wildwuchs zu verhindern und Know-how zu teilen.
-
Externe Partner nutzen (bei Bedarf): Fehlen intern die Ressourcen oder Erfahrung, scheuen Sie sich nicht, externes Know-how hinzuzuholen. Viele IT-Dienstleister und Berater haben sich auf Low-Code spezialisiert. Sie können in Workshops helfen, erste Anwendungsfälle zu identifizieren, die Belegschaft zu schulen oder auch komplexere Integrationen zu implementieren. Eine solche Zusammenarbeit kann den Einstieg beschleunigen und sicherstellen, dass Best Practices von Anfang an beachtet werden.
Mit dieser Vorgehensweise können Mittelständler schrittweise das Potenzial von Low-Code in der Logistik erschließen. Wichtig ist, eine Kultur des Ausprobierens zu fördern und Erfolge sichtbar zu machen – etwa indem ein erfolgreiches Pilotprojekt im Unternehmen vorgestellt wird. So entsteht Akzeptanz und Begeisterung für die neuen Tools. In Summe bieten Low-Code-Plattformen die Chance, trotz begrenzter IT-Ressourcen schnelle digitale Fortschritte zu erzielen. Gerade in der Logistik, wo Effizienz und Tempo über Wettbewerbsfähigkeit entscheiden, können KMU damit einen strategischen Vorteil gewinnen und die digitale Transformation aus eigener Kraft vorantreiben.
Kommentar(e)